Montag, 8. November 2010

8 - Der Wunsch nach einer Überholspur

Denn es geht um die Befriedigung  verborgener Bedürfnisse und Motive.

Sie kennen das? Sie fahren von einem schönen Wochenendausflug auf der Autobahn nach Hause. Kein LKW weit und breit. Die rechte Fahrspur ist leer. Trotzdem dichtester Verkehr und Stau. Warum? Alles fährt auf der mittleren und linken Spur. Unweigerlich kommt die Forderung, die Autobahn um eine Spur zu verbreitern.

Dasselbe spielt sich klassischerweise bei der Inbetriebnahme von CRM-Systemen ab. „Ja, wenn wir diese und jene Funktion hätten, dann würden wir ja... Wir brauchen unbedingt... “. Sie können oft tun, was Sie wollen. Die Anwender werden die bestehende Funktionalität nicht nutzen. Sie wollen ihre eigene Funktion, ihre eigene „Überholspur“. Nur: Glauben Sie bloß nicht, dass die gewünschte Funktion dann besser genutzt wird als die bereits bestehende. Die Gründe für die Nichtbenutzung sind oft ganz andere. Es werden wieder alle links fahren und nach einer zusätzlichen Spur rufen.

Alle ungeschickten Arbeiter
schimpfen auf ihr Werkzeug.
Russisches Sprichwort

CRM ist keine klar umrissene Managementdisziplin. In vielen Projekten hat sich immer wieder herausgestellt, dass bei unklarer oder schlecht kommunizierter Fokussierung des Projektes dieses sich zu einem Kristallisationspunkt unzähliger Wünsche und Begehrlichkeiten entwickelt. Je nachdem aus welcher Gedankenwelt die Mitarbeiter kommen, denen Sie einräumen - oder vielleicht auch einräumen müssen - gestalterisch an der Implementierung mitzuwirken, kann das Projekt in die eine oder andere Richtung Schlagseite bekommen. Ein sehr erfolgreicher Manager hat mir einmal verraten, dass er auf solche Begehrlichkeiten und Ansinnen mit der Frage reagiert: „Wer lässt fragen?“ Wenn bekannt ist, aus welcher Ecke bestimmte Forderungen kommen, können die wahren, dahinterliegenden Intentionen auch leichter zu Tage gefördert und verstanden werden. Ein Thema, das so großen Interpretations- und Gestaltungsspielraum lässt wie CRM, hat leider auch oft die Tendenz, für Dinge instrumentalisiert zu werden, die außerhalb Ihrer Ziele liegen.

Mein Tipp: Schaffen Sie unmissverständliche Klarheit darüber, wohin die Reise geht, was im Fokus liegt und was ganz bewusst auf der Strecke zu bleiben hat.

Praxisbeispiel: Verzerrung einer Idee

Der kaufmännische Leiter eines Konzernbereiches hatte den verständlichen Wunsch, die Unsicherheiten im Forecasting des Auftragseinganges und des Umsatzes besser in den Griff zu bekommen. Eine Möglichkeit sah er darin, die im CRM-Tool abgebildeten und verwalteten Geschäftsmöglichkeiten, an denen die Vertriebsmitarbeiter arbeiten, heranzuziehen und darauf aufbauend das Forecasting und auch die Planung zu erstellen.

Ab dem Zeitpunkt wo dieser Wunsch geäußert wurde, stand nicht mehr der Prozess der Erarbeitung eines gemeinsamen Projektes mit dem Kunden im Vordergrund, sondern eine möglichst exakte Planung. Noch bevor geklärt war, was der Kunde wirklich braucht und noch bevor entschieden war, ob und in welcher Form ein Angebot gelegt wird, wurde der mögliche Auftragseingang und Umsatz genau in einer Planung auf der Zeitachse aufgetragen. Gab es Verschiebungen oder wurde das potentielle Umsatzvolumen revidiert, wurde sofort immer die Planung nachgezogen. Kein Mensch kümmerte sich währenddessen um die Abbildung des Buying Centers, der formalen und informellen Erfolgskriterien, der Mitbewerbsanalyse usw. Hauptsache der potenzielle Umsatz war auf „Monatsscheiben“ exakt geplant. Diese Vorgehensweise erschien so schlüssig und zwingend, dass sich auch alle anderen Konzernbereiche an diese Darstellung zu halten hatten.

Der Aufwand für die Erfassung und Pflege von „Sales-Opportunities“ war aber im Vergleich zum Nutzen für den Vertrieb damit so hoch, dass Schwellwerte als Mindestvolumen festgelegt wurden, ab denen ein Verkaufsfall im CRM-Tool überhaupt abgebildet wurde. Dieser wurde sukzessive bis in Millionen-Euro-Höhe angehoben. Zusätzlich behalfen sich einige Abteilungen damit, Sales-Opportunities erst dann einzutragen, wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ – und das war frühestens ab Angebotsabgabe und spätestens bei einem gewonnenen Auftrag. Die Auswirkungen waren auf vielen Ebenen fatal und warfen die Implementierungsbemühungen um Jahre zurück.

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